ECCE HOMO 

Die Soldaten flochten einen Kranz aus Dornen; den setzten sie ihm auf und legten ihm einen purpurroten Mantel um. Sie stellten sich vor ihn hin und sagten ‚'Heil dir, König der Juden!' Und sie schlugen ihm ins Gesicht. Pilatus ging wieder hinaus und sagte zu ihnen: Seht, ich bringe ihn zu euch heraus; ihr sollt wissen, daß ich keinen Grund finde, ihn zu verurteilen. Jesus kam heraus; er trug die Dornenkrone und den purpurroten Mantel. Pilatus sagte zu ihnen: ‚Seht, da ist der Mensch (Ecce homo)!' Als die Hohepriester und ihre Diener ihn sahen, schrien sie: ‚Ans Kreuz mit ihm, ans Kreuz mit ihm.'" (Joh 19, 1-6)

ECCE HOMO ist das Altarbild betitelt, das der in Hoyerswerda geborene Maler und Galerist Hardy Schneider-Sato kurz nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft 1949 gemalt hat. Das Ölbild ist 2580 x 1650 mm groß. Es wurde im Auftrag eines Pfarrers in Saarburg begonnen. Dessen Nachfolger erschien die Darstellung jedoch zu modern. Zu Konzessionen wäre Schneider-Sato nicht bereit gewesen. Und so blieb das Werk ein halbes Jahrhundert im überdachten Innenhof seiner schönen Galerie in der Zunftstraße zu Durlach, die heute von seiner Witwe Gerda weiter geführt wird. In dem altehrwürdigen Fachwerkhaus wohnten immer zahlreiche Studenten, die oft in kurzer Andacht vor dem Bild innehielten. Die meisten halten noch Kontakt und kommen alle paar Jahre zu Besuch. Sie werden es vermissen. Doch ganz gewiss ist es im Sinn des Künstlers, dass diese Arbeit nun ihren endgültigen Platz in der Stadtkirche findet, in der er einst getauft worden war.

"Ecce homo! Seht, da ist der Mensch!" Was aber ist der Mensch? Das Ebenbild des allmächtigen Schöpfers? Oder das animal rationale, das vernunftbegabte Tier oder gar Raubtier? Das missing link zwischen der Kreatur und dem Homo sapiens, wie er sich irgendwann einmal entwickeln könnte? Die Übersetzung des berühmten Ausspruchs von Pilatus ist schon nicht einheitlich, geschweige denn die Vorstellungen und Antworten auf die Frage nach dem Wesen des Menschen. "Seht den Menschen!" heißt es hier und "Da seht den Menschen!" dort. Welche Übertragung spiegelt den Sinn am besten: "Sehet welch ein Mensch!" oder das verächtlich-spöttische "Das ist der Mensch!" Im Fremdwörterbuch (Dr. Petri/Prof. Dr. Krauße u.a.) steht der Begriff "Eccehomo" allgemein für ein "Jammerbild". 

 

ECCE HOMO
 


Altarbild von Hardy-Schneider-Sato

Woran dachte Schneider-Sato, als er das Bild nach den Schrecken des Weltkriegs malte? An die gequälte Jammergestalt? Oder den Königssohn? Oder den Erlöser? Als bildender Künstler hat er seine Deutung nicht in Worten formuliert, obwohl er gewiss auch dazu in der Lage gewesen wäre, sondern malerisch zur Geltung gebracht. Bevor wir darauf kommen, sei noch auf die über tausendjährige Tradition der Eccehomo-Darstellungen in der abendländischen Kunst verwiesen. Dornenkrönung des gebenedeiten Hauptes, Geißelung und Verspottung standen anfangs im Vordergrund. Mir scheint, dass im Lauf der Zeit die Volksmenge mehr und mehr in den Hintergrund tritt und nachher oft nur Christus und Pilatus und ein Soldat im Vordergrund zu sehen sind. Immer aber mag man in dieser Szene ein Spiegelbild menschlicher Leiden sehen. So drückt sich etwa die Angst vor dem Ansturm der Türken in Boschs Ecce-homo-Bild aus. Das ist ja das Wesen des Mythos, dass er schier unendlich deutbar ist und auch unter veränderten Zeithorizonten gültig bleibt.

Denn um Symbolik und Mythos handelt es sich unabhängig vom christlichen Glauben betrachtet durchaus auch in dieser Passionserzählung. Dass die Anhänger, die Jünger, schlafen, während der Gerechte gefoltert wird, ist nur einer der tragischen Aspekte in dieser Geschichte, die im Mythos vom sterbenden (und einst auferstehenden) Gottsohn in vorchristlichen Legenden wurzelt. In den Schmerzen und im Tod des Jesus von Nazareth drückt jeder Künstler auch das Leiden und Sterben seiner Zeit aus. Man spricht von einer "ikonographischen Tradition des Ecce Homo, die mit dem 2. Weltkrieg zu Ende gegangen" sei. Hardy Schneider-Satos Gemälde dürfte somit am Ende dieser Tradition stehen. Und auch er hat es ja, wie gesagt, nicht aus eigenem Antrieb begonnen. Aber er hat es nach eigener Vorstellung gemalt. Es unterscheidet sich stark von bekannten früheren Darstellungen:

Aus der Tiefe ragt die Gestalt des Messias empor in eine andere Sphäre. Er ist ein Mensch, aber ein anderer als die Menschen zu seinen Füßen. Er leidet. Blut rinnt von seiner Stirn, um die strahlenförmig die Dornen liegen. Die Augen sind ohne Tränen. Er steht gerade. Die Schläge haben ihn nicht gebeugt. Der Purpurmantel ist ihm von den Schultern gerutscht oder herabgezogen. Er gehört ihm nicht. Er sinkt herab zu den andern. Die Menge unten bildet eine Art Gefäß, konkav nach oben geöffnet fast wie ein Kelch. Aber während der König der Juden trotz aller Erniedrigungen, die ihm zugefügt wurden, ruhig, in sich ruhend, aufrecht da steht, ist die Menge um den Unwandelbaren herum eine einzige Bewegung. Aggressivität spricht aus der blutroten Darstellung des offenbar anspeienden glatzköpfigen Mannes mit den höhnisch ausgestreckten Armen (die ersten Christen pflegten so ähnlich die Arme zum Gebet zu erheben, nicht durch Falten der Hände). Über ihm ist offenbar der behelmte Soldat mit der Lanze. Sein Gesicht ist nicht ganz starr und ausdruckslos: Es zeigt weniger feindselige Züge als vielmehr einen Ausdruck des Erstaunens, den Blick auf die aufgeputschte Masse gerichtet. Noch stärker spiegelt sich das, vielleicht gepaart mit Abscheu, im Antlitz des Pontius Pilatus ganz links unten in grüner Farbe. Es gibt eine horizontale gegenläufige Bewegung ganz vorn in der Mitte: Eine junge Mutter scheint aus der tobenden Menge zu fliehen mit ihrem Kind, das vor Entsetzen weint. Sein Mund ist - fast möchte man sagen: expressionistisch - aufgerissen zu einem Schrei. 

Es ist unausweichlich: Der Betrachter des Bildes steht mitten unter diesen Menschen. Er wird in die Masse hineingesogen. Er ist einer von ihnen, konfrontiert mit dem Opfer, dessen Augen klar auf den Betrachter gerichtet sind. Er ist jetzt nicht nur der objektive Betrachter, sondern Teilnehmer. Er muß Stellung nehmen. Und an diesem Punkt muss die eigene Interpretation des Altarbildes ECCE HOMO von Hardy Schneider-Sato aus dem Jahr 1949 beginnen.

Eckhart Pilick