Über das Illustrieren von Büchern
Einführung in die Ausstellung illustrierter Bücher aus der Sammlung Ulrich Schulz

am 12. April 2019 im Kloster Schussenried
(gekürzt)

Schier den Atem verschlägt's mir angesichts der Sammlung illustrierter Bücher des 20. Jahrhunderts von Ulrich Schulz und seiner Tochter Kathrin. 

In dieser Fülle ist dergleichen noch niemals irgendwo versammelt und in einem dreibändigen fundierten Kompendium erfaßt worden, das zu einem informativen wie unverzichtbaren Nachschlagewerk nicht nur für Bibliophile wie für Antiquare, für Kunst- und Literaturwissenschaftler werden wird, sondern für alle Freunde schöner Bücher gleichermaßen. Der Katalog ist einzigartig. 

Der besondere wissenschaftliche Wert liegt in der Vollständigkeit. Die Ausstellung bietet einen Überblick über die Illustrationen nicht nur während ihrer Blütezeit in den 20er Jahren. 

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Das Bild ist älter als die Schrift, die zuerst Bilder-Schrift gewesen ist. Im Lauf der Zeit haben sie sich auseinanderdividiert. Im illustrierten Buch finden sie wieder zusammen.

Beiden haftet noch etwas von ihrer magischen Ursprungsbedeutung an. 
Magie ist der Versuch, aus eigenem Bemühen die Naturkräfte zu beeinflussen, die begehrten Objekte zu beherrschen, selber über den Dingen zu stehen und über sie zu verfügen. 

Insofern hat auch der Sammler etwas von einem Magier an sich. Erst recht ein so exorbitanter wie Ulrich Schulz. Ihm geht es nicht in blinder Sammelwut um das Anhäufen vieler Dinge. Für diese Präsentation wollte er das gesamte Feld der Buchillustration des 20. Jahrhunderts abgreifen, be-greifen und einordnen, wissenschaftlich erforschen und schließlich, dankenswerterweise, für uns überschaubar machen. 

Sammler gibt es seit Anbeginn der Menschheit. Goethe sammelte bekanntlich Fossilien und Mineralien, rund 18 000 trug er zusammen. Freud sammelte Ringe. Bei Ebay-Kleinanzeigen bot einer seine "internationale Chips- und Snacktütensammlung" mit 3000 Stück in Kartons und Ordnern für einen Schnäppchenpreis von 740 000 Euro an. Eine umfangreiche Sammlung von Kofferaufklebern wurde im Auktionshaus Kiefer versteigert. Kotztüten aus Flugzeugen und von Kreuzfahrtschiffen werden gesammelt - ja sogar Briefmarken, letztere sowohl gebraucht wie ungebraucht.

Das nennt man Akkumulation und unterscheidet sich von dem, was Ulrich Schulz tat und unentwegt tut. Bei der Ausübung seiner Passion reist er schon mal von einer Versteigerung zur nächsten, von Berlin nach München oder London - (wenn er gleich unbemerkt den Saal verläßt, dann macht er ein telefonisches Gebot) - , besucht Antiquare wie Privatanbieter, streift mit Kennerblick durchs Internetz und trägt stolz und beglückt seine Beute heim, um sie dann mit einer unglaublichen intellektuellen Redlichkeit wissenschaftlich aufzuarbeiten und zu organisieren. 

Suchen und Finden - das ist und war von jeher sein Steckenpferd. Er hat mir verboten, hier seine Person in den Vordergrund zu stellen. Aber diese Sammlerpersönlichkeit ist inzwischen längst zu einer Institution, einem Kulturträger par excellence geworden, und einiges muss dann doch über ihn gesagt sein. 

Im Katalog widmet er selber eine Passage dem Glück des Sammelns und Findens. Sein Name war mir bekannt, lange bevor ich ihm persönlich begegnen durfte, zuerst als <Inkunabel-Schulz>, wie er unter Bibliophilen genannt wurde, und zwar aus den Vitrinen in der Badischen Landsesbibliothek, in denen einmal kaum mehr auffindbare deutsche Wiegendrucke gezeigt worden waren, die er mit großer Kennerschaft im Katalog beschrieben hat. Die Exponate seiner umfangreichen Totentanz-Literatur und die großartigen Holzschnittbücher des 16. Jahrhunderts folgten. Da waren denn aus der ersten Blütezeit des illustrierten Buchs Rarissima zu bewundern wie der berühmte wunderschöne Theuerdank des Kaisers Maximilian und der legendäre Schatzbehalter. 

Die Ausstellungen all dieser Schätze hat er, was ich damals nicht wissen konnte, auch selber kuratiert und die Kataloge dazu kenntnisreich verfasst, so dass sie zu wertvollen Kompendien geworden sind. 

Binnen eines halben Jahrhunderts, von 1965 bis 2010, konnte er das graphische Werk von Albrecht Dürer fast vollständig in hervorragenden Drucken zusammentragen. Es wurde von Juli bis November 2011 hier im Kloster Schussenried gezeigt. 

Nun sind aus dem Bereich der modernen Buchkunst die Werke des 20. Jahrhunderts zu sehen. Dabei liegt der Fokus nicht auf dem Autor und seinem Werk oder auf dem schön ausgestatteten Buch, sondern auf dem Künstler mit seinen gezeichneten oder graphisch reproduzierten Illustrationen.

Es kam ihm nicht darauf an, nur bibliophile Glanzstücke zu zeigen - die sind natürlich auch alle in seltener Vollständigkeit versammelt -, sondern das Thema Illustriertes Buch so umfassend wie möglich zu präsentieren. Das Ergebnis sehen wir hier:

Die wertvollsten Cimelien neben anspruchslosen und auflagenstarken Verlagserzeugnissen; die genialen Schöpfungen bedeutender Künstler in oft nur zweistellig nummerierten edlen Pressendrucken des Expressionismus neben verramschten Massenprodukten aus der Zeit des "qualitativen Niedergangs" der Kriegs- und Nachkriegszeit. Allerdings ragen auch während der Ebbe zwischen 1946 und 1970 einige besonders schöne Drucke der Manus-Presse aus Stuttgart Möhringen oder anderer Handpressen mit Originalgrafik heraus. Der Katalog dokumentiert sie. 

Die Sammlung Ulrich Schulz bietet somit eine erschöpfende Gesamtschau über die Entwicklung der Buchkunst des 20. Jahrhunderts, wie sie - wie gesagt - noch nie zuvor gezeigt worden ist (abgesehen von Ausstellungen zum Kinderbuch oder zu Einzelbereichen der Naturwissenschaft oder Medizin). 

Das MoMA hatte 1994/95 unter dem Titel "A century of Artist's Books" zwar eine Ausstellung den Künstler-Büchern des 20. Jahrhunderts gewidmet, aber Artists Books - seit der 2. Documenta werden sie auch Maler-Bücher genannt - gehören eben nicht in die Kategorie der illustrierten Bücher. Es sind Grafiken, die sich zusammen mit einem Text in derselben Mappe oder im selben Einband befinden. Die Kollektion in Manhattan, unterstützt von der Rockefeller Stiftung, ist überhaupt nicht vergleichbar mit dem, was hier gezeigt wird. Paul Gaugins Manuskript für sein geplantes Tahiti-Buch NOA NOA oder Pablo Picassos Bilder zu Ovids Metamorphosen konnte man in New York unter den insgesamt 140 Titeln von nur 100 Künstlern bestaunen. Doch fehlten dort nicht nur solche wenig bekannter Illustratoren, sondern auch die spektakulären Werke berühmter Künstler wie Horst Antes, Ernst Barlach, Lovis Corinth, Paul Klee, HAP Grieshaber und vieler anderer, die in der Sammlung Schulz mit 900 Exponaten vertreten sind - sämtlich mit 1, meist 2, sogar einige mit mehreren Titeln wie von Max Beckmann oder Walther Klemm. 

Bisher hat es nur spezielle Darstellungen einzelner Maler und Griffelkünstler, aber überhaupt noch kein Gesamtverzeichnis der Buch-Illustratoren des 20. Jahrhunderts gegeben. Dieses ist die allererste Ausstellung mit dem allerersten, umfangreichen und bislang einzigen systematischen Verzeichnis überhaupt. Nicht gesponsert von der Rockefeller Stiftung.

Ulrich Schulz persönlich hat wie früher für andere Sammelgebiete jeden einzelnen Titel aufgespürt und erstanden, selbst wenn er dafür wie bei einer Inkunabel einmal bis in die USA fliegen musste, um dort in einer Universitätsbibliothek eine seltene Doublette zu erwerben. 

Manchmal begegnete ich ihm auf Auktionen und im Bibliophilenkreis, traf ihn, gebeugten Hauptes, doch mit Späherblick schnüffelnd auf dem Kriegspfad, Flohmärkten meine ich, und wenn er ein neues Objekt seiner Begierde aufgespürt hatte, waren seine Glücksgefühle ambivalent und zuletzt immer öfter von einem Anflug von Schwermut begleitet, denn die Beute bedeutete jedesmal wieder mühsame Recherchen und die Fortsetzung einer schier endlosen Sisyphosarbeit, einer freilich freiwillig auferlegten. Wir müssen uns Ulrich Schulz als glücklichen Menschen vorstellen. 

Sie glauben nicht, wie schwer es ist, von einigen der Buchillustratoren relevante Lebensdaten zu ermitteln! Auf manchen Abbildungen ist nur ein Monogramm zu erkennen, einige der auf dem Titelblatt genannten Namen sind in keinem Lexikon und nirgendwo im Internet dingfest zu machen, geschweige denn die Lebensdaten. Verzagt erlebte ich ihn zuweilen, doch nie verzweifelt. Gewiss, manchmal - doch das soll ich hier auf keinen Fall erwähnen - wollte er das Projekt hinschmeißen. Unbeirrt hat er aber sein Ziel weiter verfolgt. Er hat es getragen sieben Jahr. 

Nicht deswegen jedoch hat er diese Exposition eingeschränkt bis 1970 (statt etwa bis 2000), um eine willkürliche zeitliche Grenze zu setzen. Der Grund ist ganz einfach der, dass es danach keine bedeutenden Buchillustrationen mehr gegeben hat, mit wenigen Ausnahmen (abgesehen von Kinder- Büchern; Künstlerbücher werden auch immer noch verlegt, wenn auch nicht in dem Maße wie vor 100 Jahren.)

Die Zeit der Illustrationskunst ist endgültig vorbei. Sie ist Geschichte. Die Ausstellung dokumentiert den Abgesang. Die Blütezeit ging vor 50 Jahren zu Ende. Nur in der DDR wurden bis weit in die 80er Jahre noch häufiger illustrierte Bücher gedruckt. Die hatten aber auch drüben in Leipzig die legendäre Hochschule für Grafik und Buchkunst - schon 1945 wiedereröffnet und zehn Jahre später erweitert durch das renommierte Institut für Buchgestaltung unter der Leitung von Alfred Kapr. Max Schwimmer, Hegenbarth und Werner Klemke zählen zu den herausragenden Illustratoren der DDR.

Warum ging diese Aera zu Ende? Obwohl der Hunger an und der Konsum von Bildern doch exponentiell gewachsen ist: Durch Fernsehen rund um die Uhr. Punkt Mitternacht sind wir früher vor dem Testbild durch das Urknallrauschen aufgewacht, danach war Sendepause bis morgens früh (heute können wir durchschlafen), gefolgt von Playstation von 1994 bis 2006, abgelöst von transportablen, inflationär bild-spendenden Smartphones und von audiovisuellen Plattformen wie Instagram und Youtube?

Warum also werden kaum noch illustrierte Bücher gedruckt? Nicht obwohl wir von der Bilderflut überschwemmt werden, sondern weil es so ist, scheint das Bedürfnis nicht mehr durch bebilderte Bücher gestillt werden zu müssen. Pausenlos stehen uns unendlich viele Bilder zur Verfügung.

Bildbände werden teuer verkauft. Man kriegt sie von Tanten zum Geburtstag geschenkt. Ich schreibe dann mit Bleistift den Neupreis wieder aufs Vorsatzblatt, radiere ihn dann aus, aber so, daß er noch erkennbar ist, und verschenke den herrlichen Bildband zum Geburtstag weiter. Kein seriöser Antiquar kauft sie an. Die Verlage verramschen nach der ersten Welle nach einem Jahr die Restbestände. 

In der Kostenexplosion im Druckerei- und Verlagswesen ab 1970 sieht Schulz einen weiteren zureichenden Grund. Andererseits muß auch da gespart werden. Die Dumpingpreise der Stock Houses, Agenturen mit weitgefächertem Angebot an Fotos aus nahezu sämtlichen Bereichen zu kommerziellen Zwecken, die so gut wie nix mehr kosten, machen inzwischen auch Bild-Journalisten und Fotografen erhebliche Konkurrenz. Es gibt inzwischen bei keiner Illustrierten, bei keinem Magazin mehr festangestellte Reporter. Verlage leisten sich auch keine Illustratoren mehr, 80% von ihnen, weiß Wikipedia, arbeiten heute in und für die Werbung.

Einen weiteren kausalen Zusammenhang erkennt Ulrich Schulz zwischen dem Beginn der abstrakten Kunst und dem Schwund der Buchillustration: Letztere sei per se eine angewandte Kunst, die sich gewissermaßen ausdeutend dem Inhalt anzuschmiegen oder unterzuordnen habe. "Man kann", so Schulz dezidiert, "mit abstrakter Kunst keine Literatur illustrieren!" 

Ich sehe das anders. Wir haben uns heftig gestritten. Schon im Jugendstil, entgegnete ich, emanzipieren sich Illustrationen vom bloßen Abmalen des Narrativen, manchmal ohne ersichtlichen Textbezug. Daß sich vollends mit der Distanzierung vom Gegenständlichen auch die Abkehr von der darstellenden Bebilderung des literarischen Textes vollzogen hat, ist unbestreitbar.

Der Niedergang kann ferner zusammenhängen mit dem Schrumpfungsprozess der Lesekultur. Das Jahr hat zwar 8756 Stunden, wovon 3000 biologisch festgelegt sind für Schlafen, Waschen und Essen, knapp 2000 oder weniger für die tariflich festgelegte Erwerbsarbeit, so dass über 3000 übrig bleiben, in denen man machen könnte, was man will; aber da wir dauernd telefonieren müssen und im Stau stehen (in Großstädten bis zu 100 oder 150 Stunden im Jahr) und fast schon wie die Amerikaner bis 2000 Stunden gar nichts machen, sondern uns etwas vormachen lassen durch Filme oder Facebook, bleibt wenig Zeit fürs Lesen. Je nach Konfessionszugehörigkeit sind zwischen 5% und 20% der freien Stunden zu veranschlagen. Ein Jahr seiner Lebenszeit warten Männer auf ihre Frauen, umgekehrt die Frauen nur ein halbes Jahr auf ihre Männer. Vielleicht lesen Frauen darum mehr als Männer und werden, wie auch eine neue Studie behauptet, deswegen älter? Jeder vierte Deutsche liest überhaupt keine Bücher. -

Die fast eintausend ausgestellten Bücher der Sammlung Schulz müssen wir nicht lesen, nur anschauen. 

Um sie zu klassifizieren, sind sie im Katalog chronologisch nach Dekaden und nicht nach stilistischen Übereinstimmungen geordnet: Von 1900 bis 1910, bis 1920, 1930, von 1930 bis 1945 und schließlich vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 1970. 

Stilistisch sind die Grenzen nicht so scharf zu ziehen, da es zu Überlappungen und sogar zu anachronistischen Ausdrucksmitteln innerhalb eines Abschnitts kommt, wie wenn zum Exempel ein zeitgenössischer Künstler im Stil des Biedermeier illustriert. 

Darum ließ sich unter diesem Vorbehalt die Präsentation sinnvollerweise nur nach stilistischen und kulturhistorischen bzw. thematischen Gesichtspunkten aufbauen. Sie folgt also n i c h t dem Katalog, weil das zu Ermüdung und Verwirrung führen würde.

In Sektion I finden Sie die Werke, die zwar im 20. gedruckt wurden, deren Illustrierung aber noch weitgehend dem 19. Jahrhundert verhaftet ist. In II sind wir beim Jugendstil, es folgen in den weiteren Abteilungen der Impressionismus, der Expressionismus und in Abschnitt V die unter dem Begriff der Neuen Sachlichkeit subsumierten Bücher. Sektion VI ist weitgehend dem Symbolismus und VII den Büchern aus der Zeit des Nationalsozialismus gewidmet. In VIII sind die der 50er und 60er Jahre ausgestellt. Sektion IX enthält Karikaturen und X ist der abstrakten Kunst gewidmet. Scherenschnitte in XI; die von ausländischen Künstlern illustrierten Werke deutschsprachiger Büchern finden Sie in der Abteilung XII. Die Sektionen XIII mit Totentänzen, XIV mit Faust-Illustrationen und schließlich Sektion XV mit Einbänden runden die einzigartige Ausstellung ab. 

Erotische Illustrationen gibt es zwar genug, aber man muß sie - wie früher üblich - selber suchen. Und findet dann solch seltene Ausgaben wie Oscar Wildes "Der Priester und der Meßnerknabe". 

Ich soll - habe ich erst jetzt gelesen - "über das Illustrieren von Büchern" sprechen; da hätte ich eine Reihe Bücher hinzufügen können, sogar Erstausgaben berühmter Klassiker darunter, die durch das Illustrieren vollkommen wertlos geworden sind - diejenigen nämlich, die von mir mit Faber-Castell-Farbstiften bekritzelt worden sind zum Ärger meiner Eltern. 

Beim Rundgang wird deutlich, warum die 20er Jahre Blütezeit der künstlerischen Buchillustration gewesen sind, und wie während des Rückfalls in die Barbarei seit 1933 in Deutschland auch hier ein Abstieg erfolgte, der in den Autodafés und der Ausstellung Entartete Kunst 1937 seinen peinlichen Kulminationspunkt erreichen sollte.

Im zerbombten Nachkriegsdeutschland - Zentren der Buchkultur wie Leipzig lagen in Trümmern, für Privatpressen fehlten die Mittel wie die Käufer, alle Veröffentlichungen mussten von der jeweiligen Militärregierung der Alliierten lizenziert werden - galt zunächst der physiologische Hunger und allmählich der Lesehunger zu stillen, bevor sich ein Markt für künstlerisch ausgestattete Bücher hätte entwickeln können.

Schon ein halbes Jahr nach der Kapitulation erteilten die Amerikaner dem Rowohlt Verlag die Genehmigung zur Produktion. Kästner, Ringelnatz, Tucholsky und in Folge andere seit 1933 bis Kriegsende verfemte Schriftsteller, Werke ausländischer Autoren wie Hemingway, Steinbeck oder Norman Mailer wurden verlegt. 1946 kamen dann - für 50 Reichspfennige - die Ro-Ro-Ro, die Rowohlts Rotationsromane heraus, auf billigem Papier im Zeitungsformat gedruckte Romane, bis dann ab 1950 nach und nach die Reihe der Rowohlt-Oktavbändchen erschien, zwar immer noch auf schlechtem Papier und gelumbeckt, aber mit dem Leinenrücken und den bunten Deckelillustrationen von Gisela Pferdmenges. In Köln konnte man sie gleich nach Erscheinen in der renommierten Bahnhofsbuchhandlung Ludwig erwerben, in der mit den sogenannten Mittwochsgesprächen hitzige und interessante Talkshows stattfanden: Heinrich Böll, Joseph Beuys, Gottfried Benn, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann waren dort zu Gast. 

Selten waren die Bändchen illustriert wie zum Exempel "Die letzte Blume" von James Thurber von 1953, das mir mein Religionslehrer Hoinkis zur Konfirmation schenkte. -

Es ist ungemein spannend, wie vor wechselndem gesellschaftspolitischen Zeithorizont mehr oder weniger erkennbar die stilistische Vielfalt der bildhaften Darstellungen zum Ausdruck kommt. Es sind immer Kommentare, Interpretationen oder Widerspiegelungen des Textes, in jedem Fall handelt es sich um visuelle Kommunikation. 

BuchillustratorInnen waren zu erst einmal Leser. Eine Besonderheit stellen die literarisch-künstlerischen Doppelbegabungen dar, Barlach, Kokoschka, Kubin, Meidner oder Mehring. Schulz hebt in seiner informativen Einleitung Else Lasker-Schülers Gedichtband Der Prinz von Theben (von 1923) mit ihren eigenen Lithografien hervor, "in dem", ich zitiere Schulz, "eine erstaunliche Einheit von Text und Bild erreicht wurde." (Katalog Bd I). -

Einst wurden Bibeln bebildert für diejenigen, denen im Mathäusevangelium das Himmelreich versprochen wurde, für die Armen im Geiste, die nicht lesen konnten. Im Mittelalter gehörte der größte Teil der Bevölkerung dazu, sogar einige Priester und Bischöfe zählten zu den Analphabeten. Ausgerechnet in St. Gallen waren 1291 der Abt, der Probst und neun Mönche des Klosters des Lesens und Schreibens unkundig (vgl. Otto Borst, Alltagsleben im MA, S. 513). 

"Wie wir doch müssen alle Ding, die wir nicht kennen und wissen, durch Bilder fassen", fordert aber Martin Luther (6,78a), der sinnlichen Erfahrungen wie bekannt durchaus aufgeschlossen gegenüber stand. Andererseits gab es wie im Islam im Protestantismus, vor allem im lustfeindlichen Calvinismus, Ikonoklasmus, sogar eine Ikonophobie, unter Berufung auf das 2. Buch Mose: 
"Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde." (Exodus 20, Verse 1-6). 

Islam wie Christentum hatten ihren Siegeszug bekanntlich mit der Bekämpfung der herrschenden Götter und ihrer Bildnisse angetreten. Deuteronomion (das zweite Gesetz im 5. Buch Moses) könnte auch im Koran stehen:

"Lauft nicht in euer Verderben und macht euch kein Gottesbildnis, das irgendetwas darstellt, keine Statue, kein Abbild eines männlichen oder weiblichen Wesens, kein Abbild irgendeines Tiers, das auf der Erde lebt, kein Abbild irgendeines gefiederten Vogels, der am Himmel fliegt, kein Abbild irgendeines Tiers, das am Boden kriecht, und kein Abbild irgendeines Meerestieres im Wasser und unter der Erde." (Dtn 5. Kapitel Mos. 4,15-19).

Andere Werke der Zeit, wie die Stundenbücher des 14. und 15. Jahrhunderts, wurden dagegen farbig und prunkvoll in gold gehöhtem Kolorit illuminiert und illustriert. Beides, Bildlosigkeit und prächtige Ausgestaltung des Buches existierten in Europa nebeneinander.--

Es entwickelte sich die Illustration vom erzählenden, visualisierenden Element ganz im Dienst des Textes über die Verzierung und Verschönerung schließlich zur künstlerischen Interpretation, wo sich die Illustratoren nicht mehr heteronom als Handwerker dem Schriftsteller dienend unterordnen, sondern sein Buch durch ihre kunstvolle Arbeit individuell und eigenverantwortlich mitgestalten. Das Buch soll zum Gesamtkunstwerk werden. 

Umbra vitae von Georg Heym mit den Illustrationen von Ernst Ludwig Kirchner (1924) oder die Klänge von Wassily Kandinsky von 1912 in dieser Sparte gehören zu den rarsten und kostbarsten Exponaten der Ausstellung Schulz - um nur zwei von vielen zu nennen. 

Ob abstrakt, ex- oder impressionistisch oder eindeutig gegenständlich - beeinträchtigen sie denn nun die schöpferische Einbildungskraft des Rezipienten, der bei ihrem Anblick nicht mehr dazu kommt, sich lesend seine ureigenen Vorstellungen zu machen? Kommt er überhaupt dazu, angesichts der zwischen den Einbanddeckeln eingebundenen Abbildungen (oder der Originalgrafik wie bei den exquisiten Pressendrucken), eigene Bilder zu produzieren oder werden die unterdrückt? 

Ulrich Schulz und ich haben also darüber immer wieder heftige Auseinandersetzungen geführt. Wenn er gleich den Saal verläßt, muß er wie gesagt bei einer Versteigerung mitbieten und nicht, weil ich meinen entgegengesetzten Standpunkt nochmals betonen möchte:

Der Leser wird durch die Illustrationen angeregt, gleichviel ob abstrakt oder gegenständlich, ob er ihnen mit Zustimmung begegnet oder nicht! Konkurrenz stimuliert auch in diesem Fall den Lesegenuss.

Man weiß, wie man nach der Lektüre eines Romans Jahre später die Verfilmung meistens ziemlich enttäuschend findet, weil das Geschaute nicht den Bildern entsprach, die man sich unwillkürlich bei der Lektüre gemacht hatte. In seltenen Fällen, bei der Verfilmung von Umberto Ecos "Der Name der Rose", waren hingegen die Bilder im Kino für mich so ausdrucksstark und prägend, dass sie die zuvor beim Lesen des Romans entstandenen gleichsam auslöschten oder doch prägend überlagerten und ergänzten. 

Das ist so ähnlich beim illustrierten Buch. Der Grafiker oder Maler hat sich - in enger Kooperation mit dem Autor, in jedem Fall aber mit dem Werk - mehr oder weniger originär und talentiert auseinander gesetzt. Er wird zum Kommunikator.

Beim schauenden Leser und lesenden Betrachter können verschiedene Hirnareale synchron aktiviert, die linke wie die rechte Hemisphäre beansprucht werden. So ganz ist, wie ich mir habe versucht erklären lassen, die Kohärenzzone zwischen limbischem System und Neo-Cortex, zwischen dem rationalen Erfassen eines Sinnzusammenhangs und der zugleich mit der Kognition verbundenen Emotion (das eine gibt es nicht ohne das andere) noch nicht erforscht. So viel aber darf man sagen: Bei der Lektüre eines illustrierten Buchs wird das eine das andere unterstützen, weil beim Lesen wie beim Schauen ein dynamisches Spannungsverhältnis von Identifikation und Vertauschung entsteht. So mag ich von Unterdrückung des einen Elements durch das andere auch dann nicht sprechen wollen, wenn mir Bilder zuwiderlaufen, auch nicht, wenn sie abstrakt sind. .

Es entsteht ein proportionales Verhältnis von Umwandlung getrockneter Druckerschwärze in Gedanken und Vorstellungen zugleich mit der visuellen Wahrnehmung der Bilder und die gefühlsmäßige Bewertung des Gelesenen: Leselust und Augenlust kooperieren.

So wie es nicht die einzig mögliche adäquate Illustration eines literarischen Kunstwerks gibt, so gibt es auch "den" Leser oder "die" Leserin nicht. Die einen sind lese-erfahren und eher text-affin, die anderen dringen eher durch die schöpferischen Illustrationen tiefer in das Wesen der Dichtung ein. Außerdem liest man das gleiche Gedicht, den gleichen Roman als junger Mensch anders als später im Alter. Es hängt so viel von jedem einzelnen ab. Nicht alle sind gleich ausgestattet und bringen unterschiedliche subjektive Erfahrungen und Fähigkeiten mit.

Objektiv ist der Blick beim Lesen 0,3 Sekunden auf einen Punkt fixiert und hüpft zum nächsten. Bei jeder Fixation entstehen Bilder im Gehirn. Je geübter jemand ist, desto weniger Fixationen sind nötig, um Buchstaben, Wörter, Sätze oder Abschnitte sinngemäß zu erfassen. Kinder oder leseungeübte Erwachsene bringen es auf 100 Wörter pro Minute. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sie sich durch Ihr Erscheinen als Bücherfreunde geoutet haben, bringen es leicht auf mehr als das Doppelte. Wenn allerdings starke Affekte geweckt werden, durch Worte oder Bilder, verweilt das Auge in seiner Bewegung. Illustrationen sind Pausen. 

Goethe hat gegenüber Eckermann 1826 beim Betrachten der Lithographien von Eugčne Delacroix zum Faust "die vollkommene Einbildungskraft des Künstlers" gelobt, die (sogar) seine eigene Vorstellung bei Szenen überträfen, die er selber gemacht habe. "Um wieviel mehr", sagt er, "werden nicht die Leser alles lebendig und über ihre eigene Imaginationskraft hinausgehend finden!" Für den Weimaraner, der allerdings seine Aquarelle für ebenso große Kunstwerke hielt, erscheinen die Illustrationen also überhaupt nicht als Feind der Literatur, sondern als Bereicherung. 

Bild und Dichtung bedürfen einander nicht notwendig, klar. Sie sind frei und schöpferisch aufeinander bezogen. Diskrepanz oder Übereinstimmung zwischen Bild und Sprache mögen größer oder geringer ausfallen, als Übereinstimmung oder als störend empfunden werden. Klar. 

Selbst wenn die Buch-Illustrationen im Lauf der Zeit mehr und mehr autonom zu werden scheinen: immer sind sie Interpretation und Ergänzung der Lyrik oder Prosa, egal, ob sie naiv den Inhalt nachzeichnen, vordergründig und redundant daher kommen; oder ob sie in ihrere Abstraktion einen kaum erkennbaren Textbezug zu haben scheinen. Zugegeben, eigentlich bedarf es eines besonderen Begriffs, denn im wörtlichen Sinne "illustrieren" tun sie das epische oder lyrische Kunstwerk ja nicht. 

Der Künstler selektiert beim Lesen gemäß der Eindringlichkeit seiner Assoziationen, seiner Empfindungen und seines Könnens einzelne Passagen oder Personen, die er illustrieren möchte, ohne uns dadurch die Sicht zu verbauen oder uns bevormunden zu wollen. Uns bleiben genügend große Lücken, Spielräume unserer Einbildungskraft. 

Illustrationen fügen etwas hinzu,das uns im günstigen Fall, wie Goethe meinte, bereichert, indem sie neue Aspekte oder andere Nuancen sichtbar machen. Aber Bücher, deren Bilder die Literatur wiederspiegeln, sind überflüssig. Oder Comics. 

Weder in Literatur- noch Kunstwissenschaft spielte das illustrierte Buch eine Rolle. Ich weiß nicht, wie es heute ist. Wir durften an der Uni nur nach sogenannten kritischen Ausgaben zitieren, und die waren nie illustriert. Von einem befreundeten Studenten, der seine Masterarbeit im Fach Kommunikationsdesign geschrieben hat, bekam ich auch Fehlanzeige. Nur die lesefaulen Germanistik-Studenten in Schweden baten mich damals um reich illustrierte Ausgaben deutscher Klassiker, weil sie soundso viele Seiten deutscher Dichter gelesen haben mußten. 

Machen wir unsere eigenen Erfahrungen und beim Rundgang durch die Ausstellung eine Probe aufs Exempel. Professor Schulz steht für Fragen zur Verfügung. 

Ein persönliches Beispiel:

Die Hegenbarth-Illustrationen zum Faust entsprechen ganz und gar nicht meinen Vorstellungen etwa vom Mephisto, der im Prolog im Himmel auf Augenhöhe mit Gottvater eine Wette abschließt. Ein Professor wettet nicht mit einem Sechsklässler, nur einigermaßen Ebenbürtige gehen eine Wette ein. Unter dem Mephisto habe ich mir beim Lesen einen geistreichen Filou, einen süffisanten, gewissenlosen und weltklugen Verführer und Mann von Welt vorgestellt, dem selbst ein weiser Universalgelehrter auf den Leim gehen kann. 

Hegenbarth aber malt den Luzifer, immerhin ein abtrünniger Engel aus der allerhöchsten Hierarchie, mit einer monsterhaft-brutalen Visage. Als ich die beiden Bände später verschenken wollte, blätterte ich sie noch einmal durch und sah die Bilder dann als sinnvolle Ergänzungen meiner eigenen. Denn das Böse, dachte ich, hat eben viele Gesichter und mag in vielerlei Gestalt begegnen, wirklich als ausgemacht abgefeimte Primitivität auftreten. 

Die wild-dynamischen Zeichnungen, mit denen der 19jährige Max Ernst das dadaistische Erstlingswerk CONSOLAMINI seines Freundes Johannes Theodor Kuhlemann ohne ersichtlichen Textbezug illustrierte (die gesamte Auflage wurde vom Kairos-Verlag in Köln-Ehrenfeld auf Kosten des Dichters nach einem Jahr eingestampft, da kein einziges Exemplar verkauft und bloß fünf Freiexemplare vom Autor dediziert worden waren), hatten mich schon als Kind beeindruckt und ebenfalls zu wilden Phantasien und Gefühlsschwankungen angeregt. 

Zu diesem Aspekt schreibt Ulrich Schulz in seinem Katalog: 

"Die Künstler …, zu denen u.a. … Miró, … Dalí und Max Ernst zählten, gingen bei der angestrebten Verfremdung ganz unterschiedliche Wege. Die einen waren der Auffassung, dass man sich beim schöpferischen Entstehungsprozess einem psychischen Automatismus überlassen müsse, bei dem das zumeist abstrakte Kunstwerk quasi ohne eigenes Wollen entsteht. Andere dagegen stellten detailgetreu reale Gegenstände dar, die in keinem sinnvollen Zusammenhang standen und erreichten so die angestrebte surreale Verfremdung."

Als weitere Klammer für gegenstandslos und abstrakt arbeitende Künstler hat sich … der Begriff <Abstrakter Expressionismus> eingebürgert. Künstler wie J. Pollock (und andere) … griffen … die Gedanken zur Abstraktion von Kandinsky, Klee, Mondrian und Malewitsch auf, um zu neuen … Ausdrucksformen zu gelangen. Sie strebten … die Abkehr von jeglichem Gegenstandsbezug an. Das Abbildhafte im Kunstwerk sollte überwunden werden, ohne aber auf dessen Illusionscharakter zu verzichten. Sie reduzierten die Formensprache …, so dass ein mediales Spannungsfeld entstehen konnte. Mit ihrer gegenstandslosen Kunst… fanden sie eine derart große Resonanz, dass sie nicht nur umfassend auf der <dokumenta II> gezeigt wurde und sich eine Vielzahl von Künstlern fand, die in ihrem Sinne zu arbeiteten begannen, sondern auch dazu beitrugen, den Widerstand gegen die abstrakte und gegenstandslose Kunst zu verringern.

… Die einen waren der Auffassung, dass es die Abkehr von abbildhaften Darstellungen der äußeren Wirklichkeit unmöglich macht, textliche Zusammenhänge bildlich zu beschreiben; sie lehnten die abstrakte Darstellung im Zusammenhang mit Textillustrationen vollkommen ab. 

Andere wiederum vertraten die Meinung, dass abstrakte oder sogar gegenstandslose Bilder immer dann gerechtfertigt seien, wenn im Text, etwa von Gedichten, seelische oder geistige Vorgänge eine maßgebende Rolle spielen und es Stimmungen zu interpretieren gälte. Für den Kritiker bleibt dann aber die Frage offen, ob der Betrachter bzw. der Leser diese angestrebte Interpretation nachvollziehen kann oder ob im modernen Künstlerbuch nicht vielmehr Texte und abstrakte Darstellungen ohne Bezug zueinander nebeneinander stehen, mit dem Ergebnis, dass es sich also nicht mehr um ein illustriertes Buch handelt." 
Soweit Ulrich Schulz in seinem informativen Katalog.-


Wie im Zusammensein von Mann und Frau (halt, das ist nicht mehr gendergerecht! Es muss heißen: zwischen zwei Lebenspartnern) gibt es zwischen Literatur und Illustration Verbindungen, die sich durch gegenseitigen Un-Verstand, durch Disharmonie und Widerstreit auszeichnen, weil beide überhaupt nicht zusammen passen, weil das eine das andere zu dominieren trachtet. 

Und es gibt solche, die trotz ihrer unverwechselbaren Eigenart in einer harmonischen statt konkurrierenden Beziehung kongenial miteinander verbunden sind, weil das eine durch seine unverwechselbare Eigenart das andere zur Geltung bringt. 

Illustrationen sind dann optische Ver-Dichtungen der Dichtung. Sie bringen in uns andere Saiten zum Schwingen. Sie destruieren nicht die eigene Vorstellungswelt, sondern aktivieren in Analogie zum Text die Reflexion von Bild- und Sprachwirkung. Sie stimulieren die ästhetische Lust. 

Schließen will ich darum mit einem beide Aspekte, innere und äußere Bilder, versöhnenden Vers von Novalis:

Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt.
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt!



Eckhart Pilick