Australien muss ein wunderbares Land sein 

 

Vergangenen Herbst konnte ich mir endlich einen lang gehegten Traum erfüllen und durch Nordaustralien reisen. Um diese Zeit beginnt dort der Frühling. Allein mit Pia in einem Camper-Van durch diese riesige Provinz zu fahren, die acht mal so groß ist wie Deutschland, aber nur zweihundertzwanzigtausend Einwohner zählt - die Hälfte wohnt in der Hauptstadt Darwin - i st nicht ohne Risiko. Die giftigsten Schlangen der Welt leben hier. Man kennt die Geschichte des LKW-Fahrers, der morgens einen Reifen wechseln musste: Als er gewahr wurde, dass sich nachts eine Viper zum Schlafen um die Achse gerollt hatte, war es zu spät. Die Atemlähmung tritt auf der Stelle ein.

Man warnt zu Recht vor der kolossalen Hitze. Im Meer tummeln sich gefährliche Quallen und Haie. Die Sonne brennt gefährlicher und ungefilterter. In Katherine hatten wir Temperaturen bis 50° im Schatten. Es gab aber keinen Schatten. Die Eukalyptusbäume tragen wenig Laub. Bei einer Panne abseits des Highway muss man schon zwanzig Liter pro Person gebunkert haben. Maximal acht Stunden überlebt man im Busch ohne Wasser. 

Entschädigt wird man durch die großartige, phantastische und menschenleere Landschaft mit sonderbaren Tieren und Pflanzen. Meine Frau berichtete mir von rauen, roten, gewaltigen Bergketten bei Alice Springs, die oben durch Millionen Jahre währender Erosion gezackt wie die Zinnen einer Burgmauer aussehen und sich über hundert Kilometer am Horizont entlang ziehen, von malerischen Schluchten (Gaps). Einmal hat sie sogar die seltenen Rock-Wallabies auf den Felsen hüpfen sehen. Sie hat am liebsten die seltsamen Vögel beobachtet. So genau hat sie mir die gefiederten

Nachkommen der Saurier geschildert, dass ich sie selber zu sehen glaubte. Da stand sie zum Beispiel eines Tages vor einem knorrigen Baum; doch was sie für einen abgestorbenen Ast gehalten hatte, öffnete plötzlich ein Auge. Sie hatte den scheuen Froschmaul-Vogel entdeckt, der den Schnabel quer trägt und nach der Beschreibung überhaupt wie ein Gespenst aussehen muss. 

Ich selbst habe das alles nicht mit eigenen Augen sehen können. Auf eine entsetzliche Plage war ich nämlich überhaupt nicht vorbereitet. Sonnencreme mit Faktor 50 hatte ich dabei, gefüllte Wasserflaschen in Reserve. Medikamente für alle Fälle, sogar hoch dosiertes Cortison zur Bekämpfung eines allergischen Schocks nach Insekten- oder Schlangenbiss. Vorsichtig hielt ich auch immer Distanz an Billabongs und Flüssen, in denen sich gern riesige Salzwasserkrokodile aufhalten. Sie werden sechs bis sieben Meter lang. Obwohl sie hauptsächlich dort liegen, wo große Tafeln vor ihnen warnen, werden doch immer jedes Jahr zwei bis drei Touristen von diesen Reptilien gegessen. Wer unter der großen Hitze leidet, missachtet leicht die Gefahr und springt ins kühle Nass, wie z.B. die Orthopädin aus Neu-Ulm vor zwei Jahren. Nicht einmal ihre Badelatschen blieben übrig. Es ist eigentlich schade um diese noch vor 30 Jahren vom Aussterben bedrohten Urwelt-Tiere, denn nach einem Menschenfraß verlieren sie die Scheu oder bekommen Appetit auf mehr und fallen dadurch den Rangern auf. Das Killer-Reptil wird dann erschossen und einem Restaurant übergeben. Zweimal stand in Jabiru Krokodilbraten auf der Speisekarte. 

Vor all diesen Risiken war ich also gewarnt worden, hatte mich dagegen gewappnet und nahm mich in Acht. Aber eine Geißel der Tropen hatte niemand erwähnt und kein Reiseführer verzeichnet: Die kleinen schwarzen Fliegen!

In Wolken fallen sie über dich her. Sie krabbeln dir in die Augen, in die Ohren, kleben zwischen deinen Lippen, andauernd, überall. Wenn es dunkel wird, gehen sie schlafen. Früh morgens sind sie wieder da, Myriaden! Es gibt kein Entrinnen. Der Luftraum über Australien gehört ihnen. Ich weiß, warum so wenig Menschen in diesem schönen Land leben. Alle, selbst die Aboriginals, fuchteln ständig mit der Hand vor dem Gesicht, um sie - natürlich vergeblich - zu verscheuchen. Diese Handbewegung nennt man übrigens den australischen Gruß. 

Ich habe besonders unter diesen grässlichen Insekten gelitten. Stundenlang habe ich im Camper gesessen und mich nicht in's Freie getraut. Ich versuchte es mit Knoblauch. In jedes Nasenloch und jedes Ohr steckte ich eine Zehe und nuckelte an einer anderen. So konnte ich aber natürlich nicht unter die Leute.Pia schien relativ unempfindlich zu sein - übersät mit den winzigen Plagegeistern, beobachtete sie die schönen Vögel, die Adler, Honigfresser, Papageien und was weiß ich. Sie brachte mir am dritten Tag ein Repellent mit. Ich rieb mich großzügig damit ein. Es roch ekelhaft, schreckte die Fliegen aber überhaupt nicht ab. Sie schienen es eher zu mögen. Vielleicht hilft es gegen andere Sorten jener Dipteren oder Zweiflügler. Es gibt nämlich 6000 Arten in Australien, obwohl im allgemeinen die Fliege bloß in drei Familiengruppen eingeteilt wird : Die Spaltschlüpfer (Orthorhapha), die Deckelschlüpfer (Cyclorhapha) und die Puppengebärer (Pupipara). 

Auf einem Campingplatz nannte mir ein Einheimischer ein Mittel, das garantiert helfen würde. In Katherine konnte Pia es kaufen. Ich verließ den Camper ja kaum noch. Da, wo ich es eingerieben hatte, waren jetzt tatsächlich keine Fliegen mehr, dafür dicke rote Pusteln, die unerträglich juckten. Ich habe mir die Arme und Beine blutig gekratzt. Die Fliegen versammelten sich verstärkt dort, wo ich nichts einreiben konnte, zwischen den Lippen, an und unter den Augenlidern. In der Apotheke erstand Pia dann für mich eine Tinktur gegen meine Kratzwunden, die nun aber wieder vermehrt die teuflischen Insekten anlockte. Ich beschloss, lieber zu schwitzen, fortan mit langen Hosen und langärmeligen Hemden in's Freie zu gehen und nur noch das Gesicht - dort sind sie ja am lästigsten - einzuschmieren. Dabei kam mir etwas von dieser ätzenden Chemikalie in's linke Auge. Es brannte und tränte fortwährend. Drei Tage konnte ich nicht fahren und nicht richtig gucken. Pia hat in dieser Zeit viele bunte Vögel entdeckt und mir davon erzählt. 

Die Leute, die Fliegennetze vom Hut hängen haben, sehen beknackt aus, wie Imker bei der Arbeit, aber mit Shorts. Doch nun war ich von ihrer Unentbehrlichkeit überzeugt. Wenn ich noch etwas von meiner Reise haben wollte, brauchte ich ein solches idiotisches Netz. Es gab keine andere Lösung. Pia brachte mir eines aus dem Supermarkt mit. Man sieht ja selber nicht, wie blöd man ausschaut. Es half wirklich, ich konnte raus aus dem Bus und hoffte freudig, meinen Urlaub genießen zu können. Nach dem Frühstück machten wir uns auf zu einer etwa zwölf Kilometer langen Wanderung. Es war wunderschön, soweit ich durch die engen Maschen grob gerastert die raue, felsige Umgebung wahrnehmen konnte. Hartnäckig umsummten mich Schritt für Schritt die kleinen schwarzen Dämonen, die Luft war voll von ihnen. Sie konnten mir nichts anhaben. Alles ging zunächst gut. Nach einer Stunde bestand Pia darauf, Wasser zu trinken. Allzu schnell ist man nämlich dehydriert. Ich hob das Netz über's Kinn, doch bevor ich einen Schluck nehmen konnte, hatte ich das Maul voll Fliegen. Schnell zog ich das Netz wieder hinunter wie ein Visier, und spukte so viele aus wie möglich. Nun war es schlimmer als zuvor. Ein oder zwei Dutzend war gefangen zwischen meinem Gesicht und dem albernen Vorhang davor, ich konnte sie nicht verjagen. Aufgeregt krabbelten sie herum. Es blieb mir nichts anderes übrig, als den Hut mit dem Netz abzunehmen und die verfluchten Biester einzeln aus den Maschen zum pflücken, während ihre Verwandten schamlos über mich herfielen. Entnervt schlug ich allein den Rückweg zum Wagen an, fortwährend mit dem Hut aus Känguruhleder um mich schlagend. Meine schwarzen Begleiterinnen folgten mir unbarmherzig und hartnäckiger als je zuvor. Im Auto schlug ich wild mit dem Handtuch um mich, stellte den Motor an und das Gebläse auf die höchste Stufe. Alles umsonst. Ich baute das Vorzelt ab und fuhr mit offenen Scheiben herum. Als ich mich befreit zu haben glaubte, kehrte ich um. Kaum hatte ich den Motor abgestellt, waren sie wieder da. Die Zugluft hatte sie nur ins Heck des Wagens geblasen. 

Im Caravan Park am Ross River lernte ich Petra kennen. Ich weiß nicht, ob sie hübsch war, weil sie auch ständig solch ein dichtes Fliegennetz vor dem Gesicht trug. Sie erzählte mir von einem Deutschlehrer aus Kämpfelbach-Ersingen, der vor zwei Jahren hier seine Ferien verbringen wollte und sich zur Abwehr der Quälgeister stets mehrere Moskito-Kerzen dicht vor sich auf den Tisch zu stellen pflegte. Wenn der Qualm einem in die Nase weht, krabbeln die Viehcher einem nämlich nur in die Ohren. Aber eines Abends fing sein Netz Feuer. Beim Befreiungsversuch hatte er sich so sehr verheddert, dass er Brandwunden zweiten Grades davontrug. Ihm fehlen seitdem Augenbrauen und Wimpern. Ich bin überzeugt, dass auch die Orthopädin aus Neu-Ulm in den South Alligator River gesprungen ist, weil sie den Fliegen entkommen wollte, nicht deshalb, weil es ihr zu heiß war. Von den Fliegen geht die größte Gefahr in Australien aus, und ausgerechnet davor warnt keiner!

Irgendwo sahen wir Pferde, die geschützt von mächtigen Fliegennetzen in Ruhe grasten. Das, dachte ich, wäre das richtige für mich. Nirgendwo konnte ich jedoch einen solchen Ganzkörperschutz auftreiben. Also kam mir die Idee, ein kleines Loch ins Netz in Höhe des Mundes zu schneiden, das ich beim Verlassen des Wagens sofort zukneifen und bei Bedarf für einen Flaschenhals schnell öffnen konnte. Man muss täglich drei bis vier Liter Wasser trinken, wenn man sich in der Sonne bewegt, auch wenn man keinen Durst verspürt oder Angst vor den Fliegen hat. Beim ersten Versuch mit dem durchlöcherten Schutzvorhang drang simultan mit der Flaschenöffnung dieses ekelhafte Gezücht in meinen Mund. Das Schlimmste war, dass mir eine Fliege in das rechte Nasenloch gekrabbelt war und nun versuchte, durch das andere wieder zu entweichen. Es können auch zwei Fliegen gewesen sein. Verzweifelt riss ich mir Hut und Netz vom Kopf und schlug entnervt mit der Hand um mich. Dabei flog mir die Brille auf den Boden. Die Bifoculargläser zerbrachen. Sie waren sehr teuer: 7,2 Dioptrien mit Zylinder und selbst verdunkelnd. 

Meine Frau musste jetzt die ganze Zeit fahren, ohne dass ich sie ablösen konnte. Von nun an verließ ich den Wagen nicht mehr. Ich blieb auf dem Beifahrersitz, später nur noch hinten auf dem Bett. Pia kaufte mir zwei schöne Bildbände über Australien mit herrlichen Farbaufnahmen. Es muss ein wunderbares Land sein.

Eckhart Pilick