40 Jahre Durlacher Galerie
Schneider-Sato
Rede vom 6. Juni 2010 in der Galerie Schneider-Sato in Karlrsuhe 
 

Gern habe ich Gerda Schneiders Einladung angenommen, an ihrer Stelle zurückzuschauen auf den Anfang. Aber dass ich dabei auf ihren Wunsch hin doch bitte Rilkes Stundebuch "Von der Armut und vom Tode" einbeziehen möge, das hat mir Kopfzerbrechen verursacht. Nicht nur mir. Wolfgang Schön und ich haben eindringlich versucht, ihr das auszureden. Geduldig hat sie uns zugehört. Ihr einziger Kommentar: "Zu spät! Die Einladungen sind schon raus und viele freuen sich auf Rilke!"

Wie soll ich anfangen? Vor allem: Wo? Am liebsten möchte ich auch mit Rilke anfangen, der den Brief eines Arbeiters so beginnen läßt:
"Es ist eine ungeheure Gewaltsamkeit, etwas anzufangen. Ich kann nicht anfangen …" Also beginne ich mit der Zukunft, einer brandneuen Nachricht für morgen morgen:

Vorige Woche hat die sächsische Landesregierung ihre Genehmigung der Stadt Görlitz gegeben, im bisher der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Schloss Gersdorff ein Schlesisches Heimatmuseum einzurichten, wobei ein Raum einer ständigen Ausstellung Schneider-Sato gewidmet sein soll.

Liebe Freunde des Hauses!

Unsere Gedanken haben die gleiche Tendenz wie die Euro- und die Aktienkurse: Sie gehen zurück zunächst auf das Frühjahr 1970, als es in Deutschland nur 5000 Computer gab und anläßlich eines Abends mit der Tempeltänzerin Rita Devi in Karlsruhe die Gründung einer Galerie bekannt gemacht wurde. Sie war die Enkelin Rabindranath Tagores, Dichter (der einzige Literaturnobelpreisträger seines Landes, nicht zwar der Rilke, aber der Goethe Indiens genannt), Philosoph, Maler und Mitglied der Brahmo Samaji, einer toleranten undogmatischen Hindugemeinde. Alle zwei Jahre war seit 1960 zwischen ihren Auftritten in Paris oder Moskau die Tänzerin für einige Zeit hier zu Gast. Hier sehen Sie ihr Porträt, dass Hardy gemalt hat.

Am Geburtstag der Galerie am Samstag, dem 6. 6. vor 40 Jahren, hielt das Stadtoberhaupt Rimmelsbacher die Eröffnungsrede. Es war das Internationale Jahr der Bildung. Trotzdem hatten sich die Beatles gerade (im April) getrennt. Zeitgleich hatte Schneider-Sato zusammen mit dem Architekten Prosper Colling den "Durlacher Ring" gegen erhebliche Widerstände ins Leben gerufen, eine Expertenvereinigung der Galerie zur Rettung der Altstadt, die Empfehlungen an die Stadt gab, die sogar zum Teil realisiert wurden. Das Schloss in Durlach sollte abgerissen werden, weil es "unmöglich zu heizen" sei! Da stünde dann jetzt ein ähnliches architektonisches Wunderwerk wie die Schlossschule.

Aber wieso denn dann Rilke am Anfang? werden Sie fragen; das passt doch eher zu einer Trauerfeier und überhaupt nicht zu einem Bürgermeister damals oder einer fröhlichen Feier heute. Nun: der gute Geist in diesem Gebäude, Gerda, hat es so gewollt. Und das ist ein zureichender Grund. Seit dem Tod ihres Mannes (am 18. Dezember 2002) ist sie nicht nur der Geist, sondern auch der Kopf der Galerie. 
Ein anderer, gar nicht weit hergeholter, liegt darin, dass dieses Haus der Schönheit gewidmet und die Poesie Rilkes so schön ist, besonders wenn Schön sie so schön vorträgt. Es fanden und finden hier in diesem kulturellen Kommunikationszentrum oft auch wunderbare Konzerte und Vorträge statt.

Aber warum nun zu diesem Anlass ausgerechnet Rilke? Von Goethe oder Charlotte Eggeter gibt's doch bestimmt auch passende Verse. 
Weil - und das wäre wohl doch eine dritte zureichende Begründung - bei der Rückschau in die Vergangenheit einem die entschwundenen Stunden aufleuchten und das "Stundenbuch" Rilkes sie verinnerlicht und verdichtet. Wenn ich zurückdenke an die vielen Veranstaltungen hier, stellt sich eine ganz andere Reihenfolge in meinem Gedächtnis dar als eine chronologische. …Wenn das nicht ein weiterer Anlass wäre für das Stundenbuch von Rilke….

Um das sichtbar zu machen, müssen wir allerdings noch weiter zurückdenken, nicht 40, sondern 60 Jahre, bis 1949/50 mindestens. Oder bis 1919, als am 27. Juni Erhard Schneider in Hoyerswerda geboren wurde. Ein Geburtstag ist nur der Beginn eines Lebenslaufs, aber er ist ja nicht der Beginn des Lebens der Seele…. Man ahnt, dass es wohl überhaupt keinen allerersten Anfang in der Welt gibt, immer nur Fortsetzung, und auch kein absolutes Ende, immer nur Veränderung, Wandlung und Neubeginn. 

Das hat auch Hardy Schneider so empfunden, nachdem er aus dem Krieg - ein Knabe noch, mit 17, wurde er schon Soldat, kam 1939 gleich an die Ostfront und von da nach Sibirien für 10 lange Jahre - heimkam mit dem Ehrennamen sato…. Die Welt war eine andere. Alles war wüst und leer. Doch er kam zum Glück (er war ein Lebenskünstler) aus dem schrecklichsten aller Geschehnisse zwar verwandelt heim, jedoch nicht gebrochen. In einem Gefangenenlager in der Mandschurei hatte ihn der Zen-Meister Joshimo Sato als einen von nur drei Schülern angenommen und unterwiesen. Daher das "Sato" als Künstlername - in seiner doppelten Bedeutung.

In Dresden begann er mit dem Studium der Geodäsie und Mathematik, dann u.a. bei Otto Dix Malerei und Zeichnen. Schon in der Gefangenschaft (seine Fluchtversuche - insgesamt 6 - waren gescheitert) erlangte er hohes Ansehen als Porträtmaler und Bildhauer. Gefördert durch russische Offiziere, denen sein Talent nicht verborgen geblieben war, wurde er in das sogenannte "Kulturlager" bei Moskau geschickt. Als Freskomaler und Betonplastiker hat er dort gearbeitet und fast in jeder Nacht bis zu zwanzig Porträts der prämierten Arbeiter gezeichnet. In Karlsruhe hat er schließlich sein Studium an der Kunstakademie abschließen können. Als prominenter Porträtmaler und Maler der Prominenz stand er hier in der Region bald in hohem Ansehen. 

1950 entstand auf Rupfen gemalt - Leinwand konnte er nicht bezahlen - sein erstes Bild mit dem Titel: Der aufsteigende Tag und die herabstürzende Nacht. Eine Kopie hängt im Hof als Ersatz für Ecce homo, das vor zwei oder drei Jahren seiner Heimatstadt zum Geschenk gemacht wurde und heute dort in der Johanneskirche hängt. Es war ursprünglich eine Auftragsarbeit für eine Kirche in Saarburg. Das war 1952. Aber der Pfarrer Druschke kam zu früh, einen Tag vorher als vereinbart. Der Künstler saß in seinem Atelier in der wunderschönen Jugendstilvilla in der Reinhold-Frank-Straße gleich bei der Akademie (da wo die Tanzschule Großkopf residierte) mit dem herrlichen Sandstein-Torbogen. "Ora et labora!" stand darüber. Nun, der Pfarrer traf Hardy zwar nicht direkt beim Beten an, aber bei der Arbeit - was für ihn freilich auf dasselbe herauskam. Die attraktive Blondine, die ihm splitternackt Modell stand, konnte sich gerade noch rechtzeitig hinter der Staffelei und der großen aufgespannten Leinwand in Deckung bringen, als Hochwürden unangemeldet vor der Tür stand. Er bewunderte das fast vollendete Werk von allen Seiten, als er plötzlich das Mädchen dahinter entdeckte im Adams- oder richtiger Evakostüm. Er ergriff die Flucht (es muss also wohl ein evangelischer Theolog gewesen sein) und stornierte den Auftrag. Das Haus wurde abgerissen. Nein, nicht deswegen! Als ob die Stadt Karlsruhe einen Grund gebraucht hätte, um eine unersetzliche Jugendstilvilla abzureissen.

Dieses Bild hatte 40 Jahre im Hof seinen Platz. Zuweilen konnte man einen der vier Studenten (seit 1955 wohnten regelmäßig welche im Hinterhaus) vor seinem Examen davor verweilen sehen in stiller Andacht. Es hat also doch seinen Zweck erfüllt!

In Hardys Bildern kommt eine Synthese von erd- und naturverbundenem Gefühl hier und analytischem Denken dort zur Geltung; von überbordender Phantasie, von Intuition auf der einen und einem bewussten und rationalen Gestalten und Planen auf der andern Seite, Eigenschaften, die eigentlich selten zusammen auftreten, aber im Verein charakteristisch gewesen sind für diesen Maler. 

So komisch-surreal und zufällig-spontan uns manche Werke anmuten, so fertig und klar waren sie durchdacht in seinem Kopf entstanden, bevor er den Pinsel in die Hand nahm. Dieses Miteinander von Allegorie, Symbolik und Abstraktion verleihen vielen seiner Arbeiten eine gewisse komische Heiterkeit. Das gilt allerdings nicht für Werke wie das 2 x 2 m große Ölbild mit dem Titel "Le Déluge - avant ou après nous?", wo die Natur in einer glutroten Lavaflut zu brennen scheint, dominiert von einem alles beherrschenden Stahlkonstrukt, das entfernt an den Eiffelturm oder an eine Ölbohrinsel erinnert. Ein Mensch, wie auf einem Vexierbild kaum auszumachen, scheint links unten panisch aus dem Bild zu flüchten.

Thematisch gehört es zur selben Reihe wie das Gemälde "Wandelt Euch! (Tut Buße!)" von 1981, das (mit dem über alle Köpfe und Bauten hinauswachsenden drohenden Atompilz und dem Auge in der Pyramide) einst allenthalben in Deutschland ausgestellt worden war; ferner das Aquarell "Am Abgrund des Styx" aus der Zeit des Lagers in Russland noch während des Krieges (1944), das zeigt, wie Gefangene die Toten in den Fluss werfen, den der mit der Mythologie vertraute Sato nach dem "Grausen" benennt, jenem Strom also, der sich neunmal durch den Hades schlängelt. Er hat es wie andere Zeichnungen aus dem Ural mitgebracht. Vorher hat er kleine Skizzen angefertigt. Die Stadt Karlsruhe hat später das vollendete große Gemälde gekauft. Es scheint aber nun jenem anderen Fluss der Unterwelt anheimgefallen zu sein, der Lethe. 

Vergessen wir nicht: 1949 erwarben die Leute von den paar Mark - die Läden waren auf einmal voller Waren - Zigaretten oder endlich Brot, das nicht mehr aus dem gelben Maismehl gebacken war, oder Wolle für einen Pullover. Der Winter war eisig. Und der Spätheimkehrer Hardy kaufte sich als erstes - Rilkes Stundenbuch vom pilgernden Malermönch, der Gott "begreifen will /wie ihn die Erde begreift…", der keinen "fernen Gott will und keine Kirchen, welche Gott umklammern/wie einen Flüchtling und ihn dann bejammern/wie ein gefangenes und wundes Tier", sondern der sich seinen Gott aus der Kunst erschafft. 

Dieses Werk Rainer Maria Rilkes hatte sich Hardy tief eingeprägt, er fand sich darin wieder, es hat ihn geprägt, und es war sein Lieblingsbuch vor und nach dem Krieg; er zitierte oft und gern daraus und konnte die Verse auswendig. 1976 zitierte Spitzner darum bei der großen Werkschau im Ettlinger Schloß Hardy: "Nur wer meinen Wahlspruch <Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen> zu deuten weiß, versteht auch mein Schaffen. Hier haben Sie den gewichtigen 5. Grund. 

In seiner Liebe zu Rilke offenbart sich sein dem Diesseits, wenn auch mit melancholischen Molltönen, zugewandtes Wesen, intuitiv und rational und kritisch zugleich, so wie man es in des Dichters Versen hört: " Gebt uns Lehrer, die das Hiesige rühmen!" und bereit, "dienend sich am Irdischen zu üben"


Oder aus den Sonetten an Orpheus:

Wolle die Wandlung. O sei für die Flamme begeistert, 
drin sich ein Ding dir entzieht, das mit Verwandlungen prunkt; 

Was sich ins Bleiben verschließt, schon ist's das Erstarrte; 
….
Jeder glückliche Raum ist Kind oder Enkel von Trennung, 
den sie staunend durchgehn. Und die verwandelte Daphne 
will, seit sie Lorbeern fühlt, daß du dich wandelst in Wind.


Alles verwandelt sich, Altes in Neues, Neues in Altes, Geist in Materie und Materie in Geist, Leben in Tod und Tod in Leben (Hermann Kasack). ---

Dem Tod hat HSS im Krieg oft genug ins Angesicht gesehen. Einmal durchschlug ein Granatsplitter seinen Tournister und blieb stecken in einem Buch, das er stets mit sich führte und das ihn vor einer Verwundung (wenn nicht Schlimmerem) bewahrte. Sie ahnen, um welches Buch es sich handelte und dass ich Ihnen damit den 6. Grund verraten habe: Rilkes Stundenbuch. Ohne dieses wären wir also gar nicht hier versammelt. 

Aus Wasser und Geist sollen wir neu geboren werden, sagt Jesus im Nachtgespräch mit Nikodemus. Wasser und Wind oder Geist, der weht, wo er will, das ist nichts, was man dingfest machen, was man erwerben und in Plastiktüten nach Hause tragen könnte. Sie sind das Unbegrenzte und Unermessliche, wie das Leben selbst. Darum sehe ich im Wandeln über den See Genezareth das poetische Gleichnis für den Mut, das Starre und Erstarrte, das Feste und Verfestigte hinter sich zu lassen hin zu mehr Lebendigkeit und Bewußtheit, daß du dich wandelst in Wind.

-----

Das Gegenwärtige in das Kommende und das Unsichtbare in Sichtbares zu verwandeln, das ist Kunst, die nach Paul Klee nicht das Sichtbare wiedergibt, sondern sichtbar macht, das, was dem vordergründigen Daraufhinblicken verborgen ist. Das Wesen der Dinge bleibt unsichtbar, solange wir sie daraufhin betrachten, wie sie uns nutzen. "Die Dinge singen nicht, sie bleiben stumm", wie es im Rilke-Gedicht heißt.

Durch flüchtiges Hinblicken erschließt sich nicht die Idee. "Idee" ist ein Fremdwort, das im Griechischen etymologisch zwar verwandt ist mit Sehen, aber eher ein Weg- und Absehen von der oberflächlichen Erscheinung meint. … Das eigentliche Schauen vollzieht sich im Gehirn, nicht im Auge. Um zu einem ästhetischen Urteil zu gelangen, verbinde ich die sinnliche Wahrnehmung mit dem begrifflichen Denken und der Phantasie oder der Einbildungs-Kraft, die eine wahrhaftige Kraft ist, welche Träume wie Orchideen erscheinen läßt. 

So besteht eine Affinität der Kunst zur Religion. Rilke lehnte die Aufspaltung in Diesseits und Jenseits ab. Bei der großen Einheit im Sein sind Leben und Tod ein unteilbares Ganzes. Religion und Kunst, sie haben beide viel gemeinsam. Ihre Bilder kommen aus derselben Quelle wie die Träume. Beide haben ihren Ursprung im Totenkult, waren Jahrhunderte lang siamesische Zwillinge, entfernten sich immer weiter von einander, je mehr Gott und Welt, Sakrales und Profanes, Heiliges und Heilendes auseinander dividiert wurde. In Rilkes Versen sind sie ein Ganzes (in Hardy Schneider-Satos Lebenskunst ebenfalls, jedenfalls hat er es versucht, beides miteinander zu versöhnen.)

…….

"Alle echte Kunst ist gläubig", hat Hardy Schneider-Sato 1984 in seiner Eröffnungsrede gesagt und an einer anderen Stelle erklärt: "Kunst ist die Begegnung mit der Unendlichkeit..." Ganz ähnlich hat sich Friedensreich Hundertwasser (in einer Philippika freilich gegen den modernen Kunstmarkt) geäußert, als er schrieb: "Kunst ist ... etwas Religiöses. Ein Platz der Andacht, ein Ort der Erbauung, des Friedens, ein Ort, wo man tiefe seelische Hilfe bekommen kann, wo man den richtigen Weg wiederfindet, den man verloren hat....". Andacht - ein schweres Unterfangen für Menschen, die alles in den Griff kriegen müssen und Angst haben, das Erstarrte und Starre und Dogmatische, das Feste und Verfestigte zu verlassen. Andacht: das ist das sich Ergreifenlassenwollen von dem, was über das Be-greifen hinausgeht. Es ist die Voraussetzung, um dem Schönen begegnen zu können. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde: D.h. er schuf Sichtbares und Unsichtbares. Die Engel - und die Kunst, die das Schöne schafft - sind die Mittler zwischen den beiden Seinsweisen. Sie können das Unsichtbare sichtbar machen. ---

Doch Rilke mahnt, "die Dinge unseres Umgangs und Gebrauchs mit ihren Vorläufigkeiten und Hinfälligkeiten" nicht gering zu achten oder herabzusetzen, "sondern gerade um ihrer Vorläufigkeit willen, … sollen diese Dinge und Erscheinungen von uns in einem innigsten Verstande begriffen und verwandelt werden - verwandelt!"-

Wir brauchen ein Lebensmittelgeschäft, um satt zu werden, ein Reisebüro, um uns abzulenken, eine Kirche, um nicht über den Sinn des Lebens zu grübeln, eine Bank, um uns zu verschulden. HSS hat sein Werbebüro (mit einer Dependance in Paris) - für zahlreiche große Firmen war er 2 Jahrzehnte als Grafiker tätig - aufgegeben und eine Galerie gegründet. Eine Galerie ist etwas Überflüssiges. Nun: für das Überflüssige leben wir eigentlich (Bert Brecht). Das wußten auch die alten Römer; zur Zeit Cäsars hatten alle Reichen einen eigenen "Galerie"-Raum für Spiel, Musik und Tanz und geschmückt mit Gemälden und Skulpturen. Hier sollten nicht das Wohlgefallen am Angenehmen oder das am Vernünftigen seinen Ort haben - sondern das Wohlgefallen am Schönen. Das sollte auch die Philosophie dieser Galerie sein.

Hier sprachen nicht nur Feuilletonredakteure und Bürgermeister, Juristen aus Deutschland, sondern auch Franzosen, Japaner (Keije Takei) und Amerikaner. Hardys Tryptychon von 1957 trägt den Titel "Wanderer zwischen den Welten" - der sichtbaren und der unsichtbaren. Das meinte er gewiss als studierter Geodät allerdings zunächst im räumlichen Sinn. Tagsüber hat er geschafft, abends fuhr er mit seiner Horex los. Heute, wo man Reisen wie Waren kauft und Länder konsumiert, in denen schon alles zuvor vom Reisebüro geregelt worden ist, da mutet es abenteuerlich an, wie er mit seiner Freundin Gerda 1954 zwei Monate lang mit dem Motorrad von Karlsruhe über den Balkan quer durch Anatolien und die syrische Wüste bis nach Bagdad gefahren seid. Seine Gefährtin war gerade zwanzig Jahre alt, wollte ihn unbedingt begleiten, mußte aber dafür erst den Führerschein für schwere Maschinen machen; das war seine Bedingung. Wer diese Wochen auf Reisen unter extremen Bedingungen und Strapazen und dann noch mit einem ohnehin eigenwilligen Typ glücklich überstanden hatte, mit dem mochte man auch durch's Leben gehen, und das hat das Paar denn auch ein halbes Jahrhundert lang in seltener Harmonie getan. 

Weitgereist war er, immer mit der Staffelei im Gepäck. Nur in Nippon ist der weltoffene Galerist mit dem japanischen Ehrennamen jedoch nie gewesen, sonst wäre ihm die peinliche Szene damals in Frankreich erspart geblieben. Kennen Sie nicht? Das war im April 1970, am Tag, an dem Apollo 13 eine frühzeitige Landung vornehmen musste und an dem die Eröffnung dieser Galerie mit einer Ausstellung Japanischer Farbholzschnitte in der Presse angekündigt worden war…..

Auf dem denkwürdigen Empfang bei der Japanischen Gesellschaft in Paris zur Besprechung mit der Künstlerin (sie lebte abwechselnd dort und in Tokio) verbeugte sich Hardy auf dem Podest artig mit erhobenen Händen. Das machten die Japaner im Saal natürlich auch, was wiederum unseren gelernten Zen-Meister bewog, erneut in der Hüfte einzuknicken. Das taten die Japaner ihm nach, nur noch tiefer diesmal, was Hardy als Aufforderung verstand, ebenfalls mit seinen Rumpfbeugen fortzufahren, mehrmals und energischer als vorher, in der Hoffnung, die Gastgeber würden endlich aufhören, nicht ahnend, dass nach dem fernöstlichen Anstandsritual er, der Gast, als erster hätte damit Schluss machen müssen. Hardy war zwar ein Individualist sondergleichen, doch höflich (meistens) und ein Charmeur (oft). ----

Die Galerie Schneider-Sato war übrigens die erste in Durlach, von einer Freizeitjournalistin anfangs kritisch kommentiert. Und der Fremde, der hier zu diesem altehrwürdigen Gebäude mit dem Motorrad vorfuhr - das wäre ja noch nicht so schlimm gewesen, wenn er sich nicht obendrein mit Pfeife und Baskenmütze als nonkonformen Künstler ausgewiesen hätte - wurde von den Nachbarn hinter den Gardinen argwöhnisch begafft. Das blieb seinem wachen Malerauge (seit seinem 10. Lebensjahr hat er gemalt) natürlich nicht verborgen, und so erschien er beim nächsten Mal zwar wieder mit der Horex, aber mit einem schwarzen Hut auf dem Kopf. Mit dem grüßte er nun reihum alle wackelnden Gardinen vor den Fenstern und war von da an bei den Zunftsträßlern allmählich akzeptiert. 

Als Wanderer zwischen den Welten in übertragenem Sinn vermittelte er intensive Kontakte zu Künstlern (manche erlangten Berühmtheit) aus dem Ostblock und wurde dafür gelobt vom Karlsruher OB, zur Zeit des Kalten Krieges eine kulturelle und menschliche Brücke über alle Ideologien hinweg geschlagen zu haben. Ausgestellt wurden hier die Tschechen Karel Demel, die berühmte Mappe "Krieg und Liebe" als Hommage an Monteverdi von Kulhanek, und vor allem Arbeiten von Jiri Anderle aus Prag, den er nach der Ausstellung in Zürich bewundert und noch vor der Dürerpreisverleihung Anfang der 70er Jahre in Nürnberg (auch auf der Biennale in Venedig erhielt er bedeutende Auszeichnungen, ist inzwischen nicht nur in der Albertina in Wien, sondern auch in Museen der USA und Japans vertreten) zu einer denkwürdigen Ausstellung nach Durlach eingeladen hatte.

Jahrzehntelang hat er die Vernissagen und beliebten Themenausstellungen niemals für seine eigenen Arbeiten (das taten andere wie die Stadt Ettlingen 1976 in ihrem Schloss, eröffnet mit einem Gedicht aus dem Stundenbuch), nur für andere organisiert hier unten im Erdgeschoss. Wie enorm war der Besucherandrang! 200 bis 300 Gäste waren keine Seltenheit, so dass auf Anraten der Feuerwehr die Eröffnung auf 2 Tage verteilt werden musste. 28 mal war das Fernsehn dabei. Und die jungen Künstler profitierten natürlich von den Ausstellungen der Arrivierten in der höheren Etage. Oben wurden die Publikumsmagnete der klassischen Moderne gezeigt (die Versicherung von Nagel zu Nagel wäre hier unten auch zu hoch gewesen). Bilder und Grafiken von Braque, Matisse, Picasso, Kandinsky waren hier zu sehen, von Carl Hofer über Kollwitz und Kubin bis Otto Müller, Slevogt und Zille, gesellschaftskritische Werke von George Grosz ebenso wie die von A. Paul Weber. Ein Verzeichnis liegt aus, das einige der ca 7000 bis 8000 im Turnus von 10 - 12 Doppelausstellungen pro Jahr in der Galerie gezeigten Exponate auflistet.

……

Der Gründer dieser charmanten Galerie mit ihrem familiären Charakter hat seinen Gästen am 6. Juni 1970 gesagt:

"Kunst und Künstler mögen in diesem Haus nicht nur Platz finden, sondern Teil des Hauses sein. Wie verschieden die Farben und Formen der einzelnen Künstler sein mögen, eines sei immer gleich: die vom Haus ausgehende Atmosphäre, die sich jahraus jahrein als guter Geist bewähren möge…- Reich ist nicht, wer über ein großes Bankkonto verfügt, … nur der, in dessen Leben Geist und Schönheit einen gebührenden Raum einnehmen. Die Galerie Schneider-Sato will kritisch und aufgeschlossen bleiben, sie wird aber immer versuchen, dem Geist und der Schönheit zu dienen." 

Hier war die Quelle. So hat es angefangen. So hat er angefangen damals vor 40 Jahren! Und so schließt sich denn der Kreis in wachsenden Ringen. Oder um es mit Versen aus den Sonetten an Orpheus zu sagen:

Wer sich als Quelle ergießt, den erkennt die Erkennung;
Und sie führt ihn entzückt durch das heiter Geschaffne,
das mit Anfang oft schließt - und mit Ende beginnt.

Wenn ich schon nicht genau wußte, wie ich meinen Rückblick anfangen sollte, so weiß ich doch, wo ich aufhören muss.

Eckhart Pilick